Auf meinem täglichen Weg zur Arbeit bin ich immer recht lange im Zug unterwegs. Viel Zeit für Hörbücher, Musik, Blogposts oder auch nur, um die Landschaft vor dem Fenster vorbeiziehen zu lassen und nebenbei zu träumen. Am allerliebsten verbringe ich meine Zeit im Zug aber damit, die Gespräche anderer Menschen mitzuhören. Und es verblüfft mich immer wieder, was dabei alles zu Tage kommt. Beziehungsdramen, Bürogeschichten, lustige Anekdoten der lieben Kleinen – kannste dir alles gar nicht ausdenken.
Neulich saßen vor mir zwei Mädels im späten Teenageralter, die gerade auf dem Weg zur Berufschule waren. Nachdem sie sich ausgiebig über die Schule, die Lehrer und die Ausbildung selbst ausgekotzt hatten, gingen sie zum Thema Bucket Lists über. Große Träume von Work & Travel in Australien, einem Fallschirmsprung und dem Coachella-Festival in Amerika, gekritzelt auf die karierten Seiten eines verlodderten Collegeblocks. Und vermutlich dazu verdammt, auf ewig dort zu versauern.
Träumen können wir Menschen wirklich gut. In den buntesten Farben malen wir uns aus, was wir alles gerne mal machen würden und stellen uns dabei vor, wie wunderbar unser Leben wäre, wenn wir diese Träume erst einmal umgesetzt haben. Und dann tun wir es trotzdem nicht. Wie oft habe ich mittlerweile gehört „Ach du warst auf dem Jakobsweg? Wie toll – das würde ich ja auch so gerne mal machen„. Wenn ich dann mit einem „Warum tust du es dann nicht?“ antworte, verfallen die meisten Menschen erst einmal in eine Schockstarre und stammeln anschließend irgendwas von keine Zeit, keine Ausdauer, kein Mut oder was ihnen gerade sonst für eine Ausrede einfällt.
Das große Problem mit den Bucket Lists ist, dass wir uns gerne viel zu große Dinge vornehmen, dabei viel zu selten etwas nur für uns alleine tun und gleichzeitig meist auch noch auf eine Wertung unserer Mitmenschen aus sind. Der Jakobsweg ganz oben auf der Bucket List macht beispielsweise ohne Zweifel jede Menge Eindruck. Und war man tatsächlich dort, dann ist man der King. Der, der mutig dem Ruf seines Traums gefolgt ist. Ein Mensch, zu dem man ehrfürchtig aufschauen und den man bewundern kann. Das war es dann aber auch schon. Und das Hochgefühl, verursacht durch Respekt und Anerkennung, verflüchtigt sich im Alltag schneller als der zarte Duft des Flieders im April. Bis nichts mehr übrig bleibt. Nur noch verblassende Erinnerungen.
Ich persönlich führe schon lange keine Bucket List mehr. Dafür habe ich ein paar wenige Lifegoals, als Lebensziele, die ich mit Begeisterung und mit Nachdruck verfolge. Die Welt zu erkunden zum Beispiel. Nie damit aufzuhören, neue Dinge zu lernen. Das Glück in den kleinen, alltäglichen Dingen finden zu wollen. Vor allem aber auch, mich unabhängig von den Meinungen und Wertungen meiner Umwelt zu machen. Ob das Erreichen dieser Ziele irgend jemanden beeindruckt, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es ist nicht wichtig. Und deshalb kann mich auch niemand mit der Frage „Warum tust du es dann nicht?“ überrumpeln.
Ziele, Wünsche und Träume zu haben, ist wichtig. Gar keine Frage. Groß oder besonders müssen sie aber nicht sein. Sie sind nicht dafür da, andere Menschen zu beeindrucken und sich mit ihnen einen gewissen Status zu erarbeiten. Vielmehr sollte sie uns begleiten, damit wir mit und an ihnen wachsen können. Ob Coachella, Work & Travel, Jakobsweg oder einfach nur der Bolzplatz hinterm Haus – Träume und Ziele lassen sich überall finden. Sucht doch einfach mal nach den Kleinen. Die Ziele, die weder viel Mut, noch viel Geld, noch viel Zeit erfordern. Und wenn ihr eins gefunden habt, dann greift zu und lebt einfach! Ganz ohne Häkchen auf irgendeiner Bucket List. Geschrieben auf kariertem Collegeblock. Im Zug. Auf dem Weg zur Berufschule.
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