Camino Frances 2016 – Tag 12: Von Barbadelos über Portomarin nach Gonzar (27 km)

Waldweg auf dem französischen Jakobsweg in Spanien

Mittwoch, 14.09.2016: „He Senora – Wos is mit meiner Wäschn?

Die Nacht in Barbadelos habe ich trotz schnarchender Zimmernachbarin gut geschlafen. Schon kurz nach fünf Uhr morgens bin ich wach und putzmunter. Ein Blick aus dem Fester macht allerdings keine wirklich gute Laune. Alles ist nass und tropft. Missmutig schälen wir uns aus den Betten und checken erst einmal, ob unsere Klamotten über Nacht getrocknet sind. Dirk hatte die Schnürsenkel seiner Wanderschuhe zu einer Wäscheleine umfunktioniert und zwischen den Stockbetten gespannt, damit wir alles aufhängen konnten. Zum Glück ist alles halbwegs trocken geworden. Sogar meine Schuhe. Trotzdem packen wir recht unmotiviert unsere Rucksäcke, werfen uns in die volle Regenmontur und starten in den Tag.

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Beim ersten Schritt nach draußen gibt es eine erfreuliche Überraschung: es regnet gar nicht mehr. Meine Laune steigt und ich möchte am liebsten sofort los. Trocken und kühl – total mein Wetter. Sandra und Dirk wollen aber lieber noch einen Kaffee trinken und so gehen wir erst einmal zur Bar der Albergue. Die sollte eigentlich um 6:00 Uhr öffnen. Zumindest laut den Öffnungszeiten an der Eingangstüre. Als wir um 06:15 Uhr davor stehen, liegt die Bar aber noch komplett im Dunkeln und es sieht auch nicht so aus, als wäre auch nur ansatzweise schon jemand da. Also kein Kaffee. Sandra raucht dafür noch schnell Ihre Morgen-Zigarette, dann schmeißen wir unsere Stirnlampen an, ich bestelle beim Universum vorsichtshalber, dass es trocken bleibt und schon sind wir wieder auf dem Weg. Und es ist noch nicht einmal halb sieben.

Von Barbadelos schlängelt sich der Weg zunächst bergauf und ich bin mal wieder froh, dass es noch dunkel ist und ich nicht sehe, wie steil es ist. Schnell wird die Gegend aber wieder flacher und wir wandern schweigend durch die Nacht. Sandra setzt sich mal wieder etwas ab und läuft voraus. Allerdings nicht lange, denn alleine durch die Nacht zu spazieren, und das auch noch durch den Wald, ist ihr dann doch zu gruselig. Als wir das erste Dorf erreichen, meldet sich mein Magen. Ein Café con leche und ein Croissant wäre jetzt fein. Leider gibt es in dem Dorf überhaupt nichts. Kein Café, keine Bar, kein Supermarkt – nicht einmal einen Getränkeautomaten. Absolut tote Hose. Dafür vermeldet Dirk, dass wir schon über drei Kilometer weit gekommen sind. Auch nicht schlecht. Und das Wetter hält noch immer.

Huuuunger & Camino Spirit

Hungrig, aber super gelaunt, wandern wir weiter in den Tag hinein und als es langsam hell wird, sieht das Wetter gar nicht mehr so übel aus. Sehr viel besser in jedem Fall, als der Wetterbericht in Aussicht gestellt hat. Vereinzelt sind sogar kleine Stücke blauen Himmels zu sehen. Meine Bestellungen beim Universum scheint funktioniert zu haben. Nur mit dem Frühstück bleibt das Universum geizig. Dorf um Dorf zieht an uns vorbei und überall ist alles verrammelt und es ist keine Menschenseele zu sehen. Und dann setzt auch noch wie aus dem nichts plötzlich leichter Regen ein. Schöne Scheiße. Nasse Füße so wie gestern, muss ich echt nicht nochmal haben. Erst recht nicht auch noch zusätzlich zum Hunger und dem Kaffeedurst.

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Zum Glück kommt uns mal wieder der Camino Spirit zu Hilfe und wenige Meter weiter, gleich hinter einer Kurve, taucht eine Bar auf. Und sie hat geöffnet. Halleluja. Schnell flitzen wir hinein und entgehen damit nicht nur dem Regenschauer, sondern bekommen auch endlich unseren Kaffee. Croissants gibt es zwar nicht, aber dafür richtig leckeren Rührkuchen. Die Bar ist knallevoll und wir quetschen uns an die letzten drei freien Barhocker an der Wand. Hauptsache trocken und Hauptsache es gibt endlich was in den Magen. Den Rührkuchen tunken wir in den Kaffee und er schmeckt so herrlich, dass jedes pompöse Frühstücksbuffet mit Sekt und Lachs ein Scheiß dagegen ist.

Und da waren es nur noch 100

Nach 20 Minuten wird uns das Gewusel und Geschnatter in der Bar zu viel und wir wollen uns wieder auf den Weg machen. Ich bin schon dabei, meinen Regenponcho überzuwerfen, als ich merke, dass der Regenschauer tatsächlich schon vorüber ist. Sogar die Sonne blitzt ein bisschen zwischen den Wolken hervor. Was ein glücklicher Zufall! Wir lassen die Bar hinter uns und wander über einsame Landstraßen, durch kleine Wälder und über schöne Feldwege weiter. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach und andere Menschen sehen wir über weiter Strecken kaum. Nicht einmal Pilger. Die sind nach dem verregneten Tag gestern wohl alle ein bisschen länger in den Betten geblieben.

Plötzlich stehen wir vor einem Wegstein. Das ist jetzt grundsätzlich auf dem Jakobsweg nichts ungewöhnliches, denn die Wegsteine sieht man ständig, aber dieser ist besonders. Er sagt uns nämlich, dass es ab jetzt nur noch 100 km bis Santiago sind. Unfassbar! Als wir vor etwas über einer Woche in Leon losgelaufen sind, hatten wir noch 320 km vor uns und keinen blassen Schimmer, ob wir es überhaupt bis hierher schaffen würden. Die 100 Kilometer, die wir jetzt nur noch vor uns haben, kommen uns auf einmal wie ein Spaziergang vor und wir zählen schon insgeheim die Tage, die wir wohl noch bis Santiago brauchen werden. Mehr als fünf werden es auf keinen Fall. Eher weniger.

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Ein paar Erinnerungsfotos vom 100-Kilometer-Stein müssen sein, aber dann geht es auch direkt weiter durch das hügelige Galicien. Die Landschaft erinnert mich immer noch total an Irland und weil Dirk, Sandra und ich vor ein paar Jahren schon einmal zusammen dort waren, schwelgen wir ein bisschen in alten Urlaubserinnerungen. In Gedanken bei Galway, den sattgrünen Wiesen und der rauen irischen Küste, taucht vor uns plötzlich mal wieder eine Kuhherde auf. Die Tiere beanspruchen den kompletten Weg für sich und es ist schnell klar, dass wir da nicht einfach so drum herum gehen können. Nein, wir müssen mal wieder mitten durch.

Nach der Kuhbegegnung von vor ein paar Tagen, habe ich heute ein kleines bisschen weniger Angst. Zumal die Herde heute wenigstens keine Kälber dabei hat. Dafür sind einige Tiere trächtig. Auch nicht besser. Die Kühe sind zum Glück aber sehr lieb, machen brav Platz und wir kommen ohne Probleme durch die Herde durch. Trotzdem fällt mir ein Stein vorm Herzen, als die Herde endlich hinter uns liegt.

Portomarin

Auf dem Weg geht es durch schöne Hohlwege mit weichem Waldboden und entlang kleiner Strässchen weiter. An einem Unterstand am Wegesrand entdecken wir Teller voll mit frischen Tomaten, Birnen und Mirabellen, an denen man sich kostenlos bedienen darf. Ich merke, dass mein Magen schon wieder ein bisschen knurrt und schnappe mir dankbar eine kleine Tomate. Gegen 10:15 Uhr stehen wir plötzlich vor einer Bar. Mal wieder fast eine Punktlandung für den 10-Uhr-Stop, den wir inzwischen täglich einlegen. Die Bar ist rustikal, aber sehr stylisch eingerichtet und es läuft klassische Musik. Wunderschön!

Nach einer kurzen Pause mit Bier und Fanta, gehen wir fast schon im Eiltempo weiter in Richtung Portomarin. Das Wetter hält nach wie vor und ich will ankommen, bevor der nächste Regenguss kommt. Zum Glück ist es nicht mehr weit und schon nach wenigen Kilometern liegt die Stadt vor uns. Der Ausblick auf die Stadt und den zugehörigen Stausee ist grandios und ich kann mich beim Abstieg ins Tal kaum daran satt sehen.

Kurz vor Portomarin gabelt sich der Weg und wir müssen uns entscheiden, ob wir den langen Weg über die Hauptstraße nehmen, oder ob wir querfeldein abkürzen. Auf die Straße haben wir keine Lust und so nehmen wir die Abkürzung. Zuerst ist der Weg noch gut zu gehen, aber nach wenigen Metern schlängelt er sich auf einem engen Pfad durch Felsen durch. Wir klettern über loses Geröll und Felsbrocken, hangeln uns an den Felsen entlang und haben einen riesen Spaß dabei. Fast sind wir traurig, als wir unten sind und vor der Brücke stehen, an deren Ende der Eingang zu Portomarin auf uns wartet.

Eine gute Tat pro Tag

Der Gang über die Brücke in Richting Stadt hat fast schon etwas majestätisches und fühlt sich wie ein pompöser Einmarsch an. Ehrfürchtig erklimmen wir die Treppe, die zur Stadt hinauf führt und finden recht schnell den großen Kathedralenplatz. Portomarin gefällt mir auf Anhieb super und ich bin mir ziemlich sicher, an meinem heutigen Etappenziel angekommen zu sein. Immerhin haben wir schon beinahe 20 km hinter uns und heute früh hatte ich mir Portomarin als Tagesziel gesteckt. Sandra hat es aber irgendwie eilig heute und will unbedingt noch bis nach Gonzar weiterlaufen. Notfalls auch alleine. Wir beschließen, erst einmal etwas zu essen zu suchen und dann in Ruhe auszudiskutieren, ob wir noch weitergehen oder nicht. Mittlerweile ist es 12 Uhr und außer dem bisschen Kuchen zum Kaffee und der einen Tomate auf dem Weg, haben wir heute noch nichts gegessen.

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Direkt neben der Kirche finden wir eine kleine, schnuckelige Bar und bestellen uns Bocadillo mit Bacon und Käse, sowie eine Pizza. Wie wir so auf unser Essen warten, sehen wir plötzlich John aus England auf uns zukommen. Wir kennen ihn aus der Pilgerherberge in Rabanal und weil wir ihn ein paar Tage lang gar nicht mehr gesehen haben, gibt es erst einmal ein großes Hallo. Hätte auch keiner gedacht, dass wir den mal wieder sehen. Während wir darüber reden, was wir seit Rabanal alles so erlebt haben, fällt Dirk ein, dass John bei unserer letzten Begegnung traurig von seiner verlorenen Taschenlampe erzählt hat. Spontan schenkt ihm Dirk eine von unseren. Mit unseren zwei Stirnlampen haben wir mehr als genug Licht und brauchen sie nicht wirklich. John freut sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. “Wow, this will change my life” sagt er, denn endlich kann er auch wieder frühmorgens im Dunkeln los. Er freut sich, wir freuen uns und als John happy von dannen marschiert, kommt auch endlich unser Essen. Es schmeckt herrlich, ich fühle mich topfit und ganz langsam beschleicht mich das Gefühl, dass Portomarin vielleicht doch noch nicht das Ende des heutigen Wegs gewesen ist.

Die Hühnerfabrik

Nach dem Essen ist das Wetter noch immer ganz gut und die nächste Regenfront ist erst ab ca. 15 Uhr vorhergesagt. Bis nach Gonzar sind es noch 8 Kilometer und wir haben noch mindestens zwei Stunden Zeit, in denen es trocken bleiben soll. Das müsste zu schaffen sein, denk ich und willige ein, doch noch bis nach Gonzar weiter zu gehen. Kurz nach 13 Uhr machen wir uns auf den Weg. Zuerst geht es in Schlangenlinien einen steilen Waldweg hinauf, dann wird der Weg aber ziemlich schnell flach und wir haben in nullkommanichts die ersten drei Kilometer hinter uns.

Auf schmalen Pfaden geht es jetzt rechts und links einer Straße entlang und unser Pilgerführer warnt uns, dass der vor uns liegende Abschnitt schlimm wird. Wir müssen nämlich an einer Hühnerfabrik vorbei und der Gestank in der Gegend soll übel sein. Kurz vor der Fabrik wird schnell klar, dass der “üble Gestank” die Untertreibung des Jahrtausends ist. Der Geruch ist so derart ekelhaft, dass ich mich ernsthaft beinah übergeben muss. Mehrmals. Wir legen einen ordentlichen Zahn zu, atmen so flach und so wenig wie nur irgendwie möglich und schauen, dass wir so schnell es geht an der Fabrik vorbei kommen.

Kurz nach der Fabrik treffen wir Sandra wieder, die mal wieder voraus gerannt ist und gerade rauchend auf einem Baumstumpf sitzt. Wir tauschen uns kurz über unser beinahe-kotzen auf Höhe der Hühnerfabrik aus und nehmen dann die letzten 3 km bis Gonzar gemeinsam in Angriff.

Gonzar

Quasi auf der Zielgeraden fängt es an zu nieseln und je näher wir der privaten Herberge kommen, umso stärker wird der Regen. Mittlerweile ist das aber auch voll egal, denn weit kann es nicht mehr sein und nasse Füsse werde ich heute ganz sicher nicht mehr bekommen. Am Ende legen wir die reinste Punktlandung hin. Wie wir die Herberge betreten, bricht ein Platzregen sondergleichen los. Das Wetter ist uns jetzt aber sowas von schnuppe, denn wir sind angekommen und haben heute tatsächlich 27 km geschafft.

Zum Glück sind in der privaten Herberge noch fast alle Betten frei und es bleibt uns erspart, auf die öffentliche Herberge ausweichen zu müssen. Für 10 Euro pro Person sichern wir uns jeder ein Bett in einem 12 Bett Zimmer mit wunderschönen Steinwänden, Steinboden und groben Holzbalken an der Decke.

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Nachdem wir unsere Betten bezogen und die Rucksäcke verstaut haben, gönnen wir uns zuerst im schönen Innenhof etwas zu trinken und dann geht es ab unter die heiße Dusche. Weil bisher nur sehr wenige Pilger angekommen sind, können wir uns richtig viel Zeit lassen. Der frühe Vogel bekommt in dem Fall die ausgiebige Dusche. Und das heisse Wasser!

Nach dem Duschen macht Dirk ein kleines Nickerchen, Sandra hört ihr Hörbuch, und ich schreibe auf, was der Tag bisher mit sich gebracht hat. Nach und nach trudeln jetzt auch weitere Pilger ein. Allesamt sind sie klatschnass, weil es sich inzwischen so richtig schön eingeregnet hat. Unter den ankommenden ist auch der redselige Bayer, der uns gestern in Barbadelos schon genervt hat. Der restliche Abend verspricht also spannend zu werden. Oder nervig. Vermutlich sogar beides.

Pilgermenü, Wein & Wäschn

Gegen 19 Uhr raffen wir uns von unseren Betten auf und gehen essen. Der Bayer schließt sich uns ohne zu fragen an und kommt einfach mit. Das Pilgermenü heute hört sich richtig gut an und so beschließen wir, uns das mal wieder zu gönnen. Kostet ja auch nur 10.- Euro. Inklusive Wein. Zur Vorspeise probiere ich endlich mal den galicischen Eintopf Caldo Gallego mit Kohl, Kartoffeln und Bohnen. Er schmeckt vorzüglich und wärmt meine müden Knochen wunderbar auf. Danach gibt es Seehecht mit Gemüse und zum Dessert eine Tarta de Queso.

Das Essen ist wunderbar und das Gespäch mit dem Bayer ist wider Erwarten weniger nervig, als erwartet. Er erzählt von seiner bisherigen Reise, seinen Plänen, bis nach Finisterre und Muxia weiter zu pilgern und macht sich riesige Sorgen, dass seine Wäsche verloren gehen könnte. Die hat er nämlich Mittags zum Waschen und Trocknen der Hospitalera überlassen. Als sie im Speisesaal an uns vorbei kommt, hält der Bayer sie an: „He Senora – Wos is mit meiner Wäschn?“… Wir lachen uns scheckig, die Zeit fliegt nur so dahin und nachdem wir insgesamt zwei Flaschen Wein geleert haben, wird es langsam Zeit fürs Bett. Um 22:10 liege ich mal wieder im oberen Stockbett und warte darauf, dass endlich das Licht ausgeht. Nebenan wird schon lautstark geschnarcht.


Lust auf noch mehr Berichte über meine Pilgerreise? Hier findet ihr alle bisher erschienenen Berichte und Tagebucheinträge übersichtlich zusammengefasst: Pilgern auf dem Jakobsweg

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