Camino Frances 2016 – Tag 10: Von Hospital da Condesa nach Samos (ca. 26 km)

Montag, 12.09.2016 – Hitze, Kühe, Wadenkrämpfe

Heute sind wir alle drei mehr als früh wach, denn die Nacht im 20-Personen-Schlafsaal von Hospital da Condesa war alles andere als gemütlich. Ich hab gefroren, mich ständig in meinem Schlafsack verheddert und einige Mitpilger haben so übel geschnarcht, dass nicht einmal Ohrstöpsel dagegen geholfen haben. Außerdem hat eine der Holländerinnen einen üblen Albtraum gehabt und mitten in der Nacht wie eine Wilde losgebrüllt. Gemütlich und erholsam ist definitiv anders und deshalb packen wir heute auch schon um 5:30 Uhr unsere Sachen und ergreifen die Flucht. Nichts wie raus aus dieser fürchertlichen Ortschaft.

Start in die Dunkelheit

Draussen ist es noch richtig dunkel und meine Laune ist ziemlich im Keller. Ich bin müde, hungrig und ich weiß, dass es jetzt erst einmal eine Weile richtig steil bergauf geht. Dass ich gestern um nichts in der Welt mehr weiterlaufen wollte, ärgert mich jetzt schon ziemlich. Allerdings bin ich mir auf der anderen Seite auch unschlüssig, was am Ende besser gewesen wäre: Gestern in der Mittagshitze den Berg hoch oder heute früh im Kühlen, dafür mit Hunger und Unlust. Fakt ist, ich fühle mich heute Morgen furchtbar schwach. Sehr viel schwächer als gestern Nachmittag. Aber es hilft ja alles nichts: Santiago wartet. Und so quäle ich mich schließlich Meter für Meter irgendwie nach oben.

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Als ich schon glaube, auf ewig in dieser Hölle aus Dunkelheit, Hunger und anstrengendem Anstieg gefangen zu sein, taucht vor uns endlich das nächste Dorf auf. Halleluja! Wir betreten den Dorfplatz und das erste was ich sehe ist ein riesiger Hund, der sich unangeleint auf dem Platz herumtreibt. Sicher hätte ich mir vor Angst in die Hose gemacht, wenn ich nicht so furchtbar dringend eine Pause gewollt hätte. Und einen Kaffee. Zum Glück handelt es sich bei einem der ersten Häuser um eine Albergue mit Café / Restaurant. Und es brennt bereits Licht. Der Hospitalero lässt uns freundlicherweise für eine kurze Rast hinein und ich könnte ihm um den Hals fallen, so dankbar bin ich.

Endlich geht es wieder abwärts

Bei Cafe con Leche und frischen Croissants sieht die Welt dann auch gleich viel besser aus und ich habe endlich Lust, den Tag in Angriff zu nehmen. Zumal wir die richtig anstrengenden Bergetappen jetzt auch endlich hinter uns haben. Ab jetzt geht es wieder abwärts. Genau genommen sogar rund 850 Höhenmeter. Draussern dämmert es schon als wir den letzten Bissen Croissant mit dem letzten Schluck Kaffee hinunterspülen und uns frisch gestärkt wieder auf den Weg machen. Der riesige Hund lungert immer noch auf dem Dorfplatz herum, ignoriert uns aber völlig. Vermutlich ist er sogar total lieb. Nur eben überdimensional groß. Noch in Gedanken bei dem Monsterhund, wandern wir schließlich aus dem Dorf hinaus, fröhlich in den Tag hinein und machen schnell etliche Kilometer. Die Temperatur heute früh ist super. Es ist schön frisch, aber nicht so kalt, dass man friert. Dazu geht es auf angenehmen Wegen stetig bergab und die Landschaft ist absolut herrlich. Galizien erinnert mich ein wenig an Irland und ich liebe die Region jetzt schon.

Kühe, Kühe und nochmals Kühe…

Als wir gerade schön beschwingt bergab marschieren, taucht vor uns plötzlich eine Herde Kühe auf. Nebst Kälbern. Die Herde verteilt sich munter auf einem großen Stück des Weges und die Tiere zu umgehen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Mir rutscht das Herz in die Hose und ich muss an eine Geschichte denken, die meine Mama oft erzählt hat. Sie ist mal von einer Kuh gejagt worden und seither mag sie Kühe eher nur noch auf dem Teller. Mir wäre so ein Steak jetzt auch lieber, aber es hilft alles nix. Erst der Monsterhund heute früh und jetzt geht es eben auch noch durch eine Herde Kühe durch. Was tut man nicht alles, um nach Santiago zu kommen. Ganz langsam schleichen wir uns an den riesigen Tieren vorbei und ich glaube, ich halte den gesamten Weg die Luft an. Die Kühe sind von uns sehr unbeeindruckt und glotzen nur komisch. Wir weden weder gejagt, noch getreten und lassen die Herde Gott sei Dank schnell hinter uns. Komplett unbeschadet, dafür aber mit einer ordentlichen Portion Adrenalin im Blut.

Unverhoffte Begegnung

Ein paar Minuten nach der Begegnug mit der Kuhherde fällt Sandra zum ersten Mal auf unserer Reise deutlich zurück. Nix mehr mit Speedy Gonzales. Stett dessen schleppt sie sich mit immer schlimmer werdenden Schmerzen im Fuß den Berg hinunter. Während sie wütend vor sich hin flucht, erzähle ich ihr alle paar Minuten, dass wir sicher gleich unten sind. Sind wir aber natürlich nicht und ich bin heilfroh, als nach einer Weile endlich eine Bar vor uns auftaucht. Perfektes Timing übrigens mal wieder, denn es ist mittlerweile kurz nach 10 Uhr und somit Zeit für unsere Bier- & Fanta-Pause.

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Als wir die Bar betreten, fällt mir gleich ein Paar auf, welches gerade ebenfalls Pause macht und mit Kaffee und Kuchen am Tresen sitzt. Auch wenn ich beide zunächst nur von hinten sehe, ist schnell klar, dass es Gini und Andi sind. Nachdem wir uns gestern überall verpasst haben, ist die Freude gleich doppelt so groß, dass wir uns wieder gefunden haben. Und ich freue mich schon diebisch darauf, was die beiden zu dem Zettel sagen, den wir Ihnen gestern beim Aufstieg nach O Cebreiro hinterlassen haben. Leider haben sie unsere Nachricht gar nicht gesehen und ich bin ein bisschen enttäuscht. Wäre lustig gewesen.

Erste Tränen

Während Dirk und ich mit Gini und Andi plaudern, fällt mir nach ein paar Minuten auf, dass Sandra fehlt. Sie wollte eigentlich nur kurz auf die Toilette gehen, ist aber irgendwie nicht mehr zurück gekommen. Ich habe ein ungutes Gefühl und mache mich vorsichtshalber mal auf die Suche nach ihr. Auf der Toilette ist sie nicht – dafür finde ich sie an einem der Tische vor der Bar. Sie sitzt in der Sonne, raucht eine Zigarette und heult dabei Rotz und Wasser. Mir wird klar, dass die Schmerzen in ihrem Fuß wohl doch um einiges schlimmer sind, als zunächst gedacht. Bei einer weiteren Zigarette überlegen wir gemeinsam, was wir jetzt tun können. Zum Glück habe ich ein paar Kinesio-Tapes dabei und wir beschließen, dass wir es damit versuchen. Zwar haben wir keine Ahnung, wie man die richtig klebt, aber irgendwie bandagieren wir das Sprunggelenkt mit Tape in Türkis und Pink und hoffen das Beste.

Zurück in der Bar, erzählen uns Andi und Gini dass sie heute bis nach San Xil weiter möchten und fragen, ob wir nicht mitkommen wollen. Bis dorthin ist es allerdings noch ziemlich weit und wir bezweifeln, dass Sandra das mit Ihrem Fuß schafft.  Vorsichtshalber setzen wir uns deshalb kein sonderlich ambitioniertes Ziel und lassen Gini und Andi erst einmal alleine weiterziehen. Allerspätestens in Santiago wird man sich schon wieder sehen.

Nachdem Sandra sich schließlich einigermaßen beruhigt hat und sich sicher ist, wieder ein Stück gehen zu können, machen wir uns ebenfalls wieder auf den Weg und nehmen den letzten Abstieg bis nach Triacastela in Angriff. Dort angekommen suchen wir erst einmal eine Apotheke und kaufen Voltaren und einen Verband. In einer kleinen Bar direkt an der Hauptstrasse halten wir an, gönnen uns in der Mittagssonne ein paar Bocadillos zum Mittagessen, verarzten Sandras Fuß mit dem Schmerzgel und überlegen, wie es jetzt weitergeht.

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Trotz ihrer Schmerzen will Sandra unbedingt noch ein Stück weiter und das kann ich sehr gut verstehen. Triacastela ist wahrlich nicht gerade die schönste Idylle und ich habe auch nicht sonderlich Lust, heute hier zu bleiben. Als weiteren Wegabschnitt schlägt unser Pilgerführer zwei verschiedene Routen vor. Wir können Gini und Andi doch noch nach San Xil hinterher, wobei der Weg hier sehr anstrengend und steil sein soll.  Oder wir nehmen die Alternativroute über Samos. Die ist zwar 5 Kilometer länger, soll aber laut Pilgerführer weitaus weniger anstrengend sein. Mit Rücksicht auf Sandras Sprunggelenk beschließen wir, die Route über Samos zu nehmen und dort für heute Schluß zu machen.

Hohlwege, Trampfelpfade, Wadenkrampf

Der Weg führt zunächst auf einer hübschen Landstraße gemächlich den Berg hinunter. Dann geht es auf kleinen Waldwegen weiter. Sandras Sprunggelenk geht es langsam besser und sie kommt wieder recht gut voran. Ich selbst bin leider einmal mehr an einen Punkt, an dem mich alles ankotzt. Es ist mittlerweile früher Nachmittag, die Kühle des Morgen ist einer Affenhitze gewichen und die Sonne knallt wieder so sehr vom Himmel, dass jeder Schritt eine Qual ist. Rund 5 Kilometer vor Samos habe ich dann auch noch plötzlich einen Wadenkrampf. Sandra und Dirk sind weit und breit nicht zu sehen, aber helfen hätten sie mir ja sowieso auch nicht können. Die letzten paar Kilometer bis Samos kämpfe ich mich deshalb unter furchtbaren Schmerzen humpelnd alleine den Berg hinunter und für den letzten Kilometer brauche ich gefühlt eine ganze Stunde.

Der Weg gibt dir was du brauchst, wenn du es brauchst

Vor dem Ortseingang von Samos wartet Dirk auf mich und wirkt schon von weitem total happy. Als ich näher komme, sehe ich auch warum: Vor einem der ersten Häuser steht ein kleiner Tisch mit Karaffen voll kühlem Wasser, Gläsern und frischem Obst. Extra rausgestellt für müde Pilger. Gratis. Meine Wasserflasche ist schon seit etlichen Kilometern leer und Durst habe ich auch schon eine gefühlte Ewigkeit. Das frische Wasser ist daher wie ein Geschenk des Himmels und mir kommt direkt wieder eine alte Pilgerweisheit in den Sinn: „Der Weg gibt dir immer genau das was du brauchst, wenn du es brauchst“. Der Camino ist schon faszinierend.

Als ich endlich humpelnd, aber immerhin deutlich besser gelaunt, in Samos ankomme, sitzt Sandra gemütlich in einer Bar. Sie wartet schon rund 45 Minuten auf uns und nippt an ihrem Bier. Froh endlich da zu sein, setzen wir uns zu Sandra, bestellen ebenfalls ein Bier und sie erzählt uns, dass die Holländer von gestern und vorgestern auch hier sind. Sieht fast so aus, als ob die uns verfolgen. Oder wir die Holländer. Je nachdem, wie rum man es auch betrachtet. Immerhin ist die Gruppe aber ja ganz nett und weil in der Albergue neben der Bar noch Plätze frei waren und die Holländer so von den Federbetten dort geschwärmt haben, hat uns Sandra dort bereits Schlafplätze organisiert.

Langeweile & kuriose Begegnungen

Der restliche Tag in Samos gibt nicht mehr viel her. Sandra ist mit ihrem Sprunggelenk noch immer etwas angeschlagen und meine Wade schmerzt von dem Krampf beim Abstieg auch noch sehr. Wir erkunden daher nur kurz ein bisschen die Stadt, kaufen ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt und gehen danach noch Krokettas und Sandwiches essen. Nicht einmal das berühmte Kloster von Samos besichtigen wir, was im Nachhinein eine absolute Schande ist. Das Kloster soll nicht nur wunderschön sein, sondern ist angeblich auch eines der ältesten Klöster der westlichen Welt.

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An Stelle der Klosterbesichtigung, hält der Jakobsweg heute nur noch kuriose Begegnug für uns bereit. Beim Abendessen lernen wir Rik kennen. Ein total verrückter Typ aus Skandinavien, der sofort ein Auge auf Sandra wirft. Er setzt sich zu uns an den Tisch, läd Sandra auf ein Bier ein und erzählt halb auf Englisch, halb auf Deutsch wirre Geschichten über sich. Sandra will er direkt noch in sein Zelt im Wald mitnehmen und wir ergreifen vorsichtshalber die Flucht. Vor der Tür der Albergue treffen wir wieder auf die Gruppe Holländer. Sie sitzen auf den Treppenstufen, trinken Wein und bieten uns auch noch ein Glas an. Dankend nehmen wir an. Alles besser als dieser merkwürdige Rik.

Ein hoch auf kuschelige Federbetten

Als es draußen langsam dunkel wird, machen wir uns schließlich auf den Weg in unsere Betten. Auf die Federbettdecke freue ich mich wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Endlich mal wieder richtig schön in eine dicke Decke einkuscheln. Nach Tagen im Schlafsack fühlt sich das an wie im Himmel. Meine Freude über die wunderbare Decke wird aber leider ziemlich schnell gedämpft, als ich den Wetterbericht für morgen sehe. Es ist Regen vorhergesagt. Zum ersten Mal seit unserem Start vor 10 Tagen. Ein Blick nach draussen bestätigt die Vorhersage: Es ziehen dunkle Wolken auf, die wirklich nicht gut aussehen. Noch will ich aber gar nicht daran denken, morgen eventuell durch den Regen wandern zu müssen. Und so kuschele ich mich in meine Decke, schalte mein Hörbuch ein und schlafe fast augenblicklich ein.


Lust auf noch mehr Berichte über meine Pilgerreise? Hier findet ihr alle bisher erschienenen Berichte und Tagebucheinträge übersichtlich zusammengefasst: Pilgern auf dem Jakobsweg

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7 Comments

  1. Morten says:

    Danke für diese schönen Bericht! Ich starte im Juli in Leon und bin nach dem Lesen nun noch motivierter als zuvor.
    Bin sehr gespannt auf deine Fortsetzungen.

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    1. Mini.Me. says:

      Oh schön. Ich bin ja immer neidisch, wenn sich wieder jemand auf den Weg macht. Bin selbst erst vor ein paar Wochen von meiner zweiten Pilgerreise auf dem Camino Portugues zurückgekommen. Bin ein bisschen sehr hinterher mit den Reiseberichten :(

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  2. Marlies Herzog says:

    Ich Danke dir für diesen tollen Bericht eurer Pilgerwanderung. Es war für mich sehr spannend zu lesen. Wenn meine Beine das mitmachen würden, wäre ich schnell dabei. Ich hab vor Jahren ein künstliches Knie bekommen, das falsch eingesetzt wurde. Nach der Korrektur bekam ich einen Infekt. Später dann bekam ich ein spezielles Gelenk, das mich praktisch immer schmerzt. Es ist schön zu lesen wie es euch ergangen ist und ich konnte in Gedanken mit euch laufen. Danke dafür.

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    1. Mini.Me. says:

      Liebes Marlies,
      vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Das ist ja total schade, dass du so eine Pilgertour selbst nicht machen kannst. Ich wünsche dir für dein Knie eine gute Besserung.
      viele grüße
      Moni

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  3. Tanja L. says:

    Wow, Jakobsweg, irgendwie gar nichts für mich. Klingt aber sehr aufregend. Ich wünsche dir dann viel Spaß und Erfolg bei deiner nächsten Wanderung!

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