Donnerstag, 08.09.2016 – Geburtstagsfeier auf dem Jakobsweg
Heute ist ein besonderer Tag. Sandra hat Geburtstag. Nach dem Aufwachen wird deshalb erst einmal ausgiebig geherzt und Glückwünsche verteilt. Danach verziehen wir uns ins Bad und erledigen die morgendliche Katzenwäsche. Die im Übrigen mit jedem Tag auf dem Camino kürzer ausfällt. Das Schminken haben Sandra und ich schon vor ein paar Tagen aufgegeben. Wem einmal bei 40 Grad der Kajal in die Augen läuft, der verzichtet gerne auf MakeUp. Und auch mit unseren Haaren halten wir uns nicht mehr lange auf. Gesicht waschen, die Haare zum Zopf binden, Zähne putzen und schon sind wir morgens startklar.
Ganz startklar bin ich selber heute aber noch nicht. Meine Blase am Fußballen macht mir immer noch Probleme und in Gedanken fluche ich schon wieder lautstark vor mich hin. Treppen steigen ist noch immer ein riesiges Problem für mich. Ganz besonders, wenn die Knochen und Gelenke noch nicht warm gelaufen sind. Die Treppen von unserem Zimmer zum Ausgang der Albergue stapfe ich wieder einmal ganz langsam Stufe für Stufe hinab und komme mir dabei vor wie eine Oma.
Warnungen aus dem Pilgerführer
Draussen sind die Schmerzen aber schnell vergessen, denn es ist angenehm kühl. Aber auch stockdunkel. Und zu allem Überfluss warnt uns unser Pilgerführer auch noch ausdrücklich davor, den Weg von El Acebo bis nach Molinaseca im Dunkeln zu gehen. Insgesamt müssen wir rund 700 Höhenmeter hinab und der Weg soll stellenweise echt schwierig sein. Uns ist das aber egal. Wir wollen los. Und während über uns die Sterne wie tausend Diamanten funkeln, marschieren wir mit unseren Stirnlampen in die Nacht hinein.
Ich selbst bin mittlerweile ja echt ein großer Fan davon geworden, im Dunkeln zu laufen. Entsprechend ist meine Laune gut und die Zeit vergeht wie im Flug. Als es langsam hell wird, haben wir schon einige Kilometer hinter uns und sind ein kleines bisschen sauer auf unseren Pilgerführer. Der hat uns absolut grundlos verunsichert. Wir haben uns bislang weder verlaufen, noch die Hälse gebrochen.
Gerade als wir unsere Stirnlampen ausschalten können, erreichen wir mit dem Nachtigallental einen weiteren Abschnitt, bei dem uns unser Pilgerführer ausdrücklich zur Vorsicht mahnt. Auf großen Felsen soll es teils steil bergab gehen gehen und bei ungünstigem Wetter, wenn man müde oder schlecht zu Fuß ist, soll man das Tal lieber großzügig umgehen. Schlecht zu Fuß trifft auf mich zwar teilweise noch zu, aber alleine um das Tal herum zu gehen, darauf habe ich keine Lust. Und nachdem der Nachtmarsch bereits so gut gelaufen ist, macht uns die Mahnung aus dem Pilgerführer auch eher neugierig, als dass sie uns abschreckt.
Der Weg durch das Nachtigallental ist dann auch tatsächlich nicht ganz ohne. Da hat der Pilgerführer definitiv nicht übertrieben. Die Felsen sind groß, teilweise ziemlich steil und mit den Wanderstöcken rutscht man auf dem glatten Stein extrem leicht ab oder bleibt in irgendwelchen Felsspalten stecken. Außerdem hat sich an diesem Morgen Tau über das gesamte Tal gelegt und somit ist der Weg auch noch ziemlich matschig und glitschig. Mit meinem schmerzenden Fußballen ist das nicht unbedingt ein Zuckerschlecken, aber im Grunde ist der Weg kein großes Problem. Und er macht oben drein auch noch enorm viel Laune. Besonders weil das Nachtigallental superschön ist. Es zu umgehen, wäre eine absolute Schande gewesen.
Schneller als gedacht lassen wir das Nachtigallental dann auch schon hinter uns und ich bin ein bisschen traurig, dass der Weg nicht länger war. Das Tal hat so eine ganz besondere Ruhe ausgestrahlt, die mir sehr gut gefallen hat. Ich hätte auf diesem schwierigen Weg tatsächlich noch Stunden weiterwandern können. Lange hält meine Wehmut zum Glück aber nicht an, denn das nächste Highlight wartet bereits auf uns: Molinaseca. Als wir den engen, steinigen Pfad nach Molinaseca hinunterklettern, liegt das Örtchen wie eine Fata Morgana vor uns. Und sieht dabei aus, wie gemalt.
Frühstücken in Bilderbuchkulisse
Weil wir bei unserem Start in El Acebo wieder einmal nicht gefrühstückt haben, legen wir in Molinaseca unsere übliche Frühstücksrast ein. Und weils so schön ist, sitzen wir viel länger als geplant bei Kaffee und Croissants auf einer wunderschönen Terrasse und lassen die Landschaft auf uns wirken. Herrlich ist es hier und ich hätte noch Stunden bleiben können. Aber hilft alles nix, wir müssen noch ein gutes Stück weiter.
Unser nächstes Ziel für heute ist Ponferrada, die Hauptstadt der Provinz Leon. Nach Astorga ist Ponferrada die erste größere Stadt, in die uns unser Weg wieder führt. Ich bin schon sehr gespannt, denn in Ponferrada gibt es eine wunderschöne Templerburg. Und die will ich mir unbedingt anschauen.
Der Weg von Molinaseca nach Ponferrada ist zunächst ziemlich eintönig. Ausserdem wird es langsam wieder richtig heiß und meine Laune sinkt mit jedem Grad. Hitze und ich werden in diesem Leben definitiv keine Freunde mehr. Sandra setzt sich auf den nächsten Kilometern mal wieder etwas ab und geht voran. Dirk und ich bleiben beisammen und vereinbaren mit Sandra, dass wir uns kurz vor Ponferrada wieder treffen. Leider erwischen wir komplett unterschiedliche Wege, kommen damit an unterschiedlichen Stellen in Ponferrada heraus und brauchen gefühlt Ewigkeiten, bis wir wieder zueinander finden.
Ungewohnter Großstadttrubel
In Ponferrada angekommen, wollen wir uns eigentlich kurz ausruhen, eine Kleinigkeit essen und dann die Templerburg suchen. Kaum in der Innenstadt angekommen, wird aber schnell klar, dass Ruhe heute definitiv nicht zu erwarten ist. Die gesamte Stadt ist auf den Beinen weil irgendein großes Fest stadtfindet und alle paar Minuten hallen Kanonenschüsse durch die Luft. Wir suchen uns eine minimal ruhigere Ecke, setzen uns in ein Straßencafe und bestellen uns erstmal ein Bier.
Während ich so in der Sonne sitze, werde ich auf einmal wahnsinnig müde. Meine Lust weiterzulaufen geht gegen Null und als Dirk und Sandra langsam darauf drängeln endlich weiter zu gehen, werde ich richtig knatschig. Ganz kurz überlege ich mir, ob ich mir hier in Ponferrada ein Zimmer nehmen und am nächsten Tag alleine weitergehen soll. Den Gedanken verwerfe ich aber schnell. So voll wie die Stadt ist, ist sicher sowieso alles ausgebucht. Außerdem will ich ja unbedingt zur Templerburg. Halb motiviert schließe ich mich deshalb doch Dirk und Sandra an und wir bahnen uns einen Weg durch die Menschenmassen und über einen komplett überfüllten Mittelaltermarkt in Richtung Ausgang der Stadt. Nur um dann festzustellen, dass die Templerburg geschlossen hat. Thank you for nothing Ponferrada!
Als wir endlich aus Ponferrada draussen sind und den Trubel hinter uns gelassen haben, bessert sich meine Laune ein bisschen. Auch wenn ich immer noch tierisch angefressen bin, weil ich die Templerburg nur von aussen sehen konnte. Immerhin ist die Landschaft hinter Ponferrada schön und obwohl es zwischenzeitlich richtig heiß ist, ist der Weg ganz gut zu laufen. Wir kommen durch einige malerische kleine Örtchen und bringen so doch noch einige Kilometer hinter uns.
Wäsche in der Maschine – Wie Ostern und Weihnachten zusammen
Kurz vor Camponaraya schreibt mir Sandra, dass sie in der ersten Albergue im Ort Gini und Andi getroffen hat. Sie will dort auf Dirk und mich warten und wir legen einen Zahn zu. Als wir endlich in Camponaray ankommen, sitzen Sandra, Gini und Andi schon gemütlich in der Bar und haben für uns alle beschlossen, heute hier zu bleiben. Mir ist das grad recht. Ich habe sowieso keine Lust mehr weiterzugehen. Wir checken uns alle ein und bekommen gemeinsam mit Gini und Andi ein 8er-Zimmer. Perfekt.
Noch größer ist die Freude, als wir feststellen, dass es in der Albergue eine Waschmaschine und einen Trockner gibt. Seit fünf Tagen haben unsere Klamotten nur Kernseife und Waschbretter gesehen und ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass man das langsam riecht. Wir werfen unsere gesammte Wäsche zusammen und lassen alles einmal richtig gut durchwaschen und trocken. Inklusive Weichspüler. Es ist doch herrlich, über welche Kleinigkeiten man sich auf einmal freuen kann.
Nachdem wir alle frisch geduscht sind und auch unsere Wäsche wie neu ist, gehen wir zum gemütlichen Teil des Tages über. Schließlich ist immer noch Sandras Geburtstag. Und der gehört mit gutem Essen und viel Wein gebührend gefeiert. Gemeinsam mit Gini und Andi verziehen wir uns in die Bar und treffen dort tatsächlich auch noch Gerd und René aus Dänemark wieder, die wir bereits von Astorga kennen.
Geburtstagsfeier mit neuen Freunden
An diesem Abend in Camponaraya feiern und trinken wir nun alle gemeinsam. Sandra, Dirk, Gini, Andi, Gerd, René und ich. Die Stimmung ist super, es wird viel gelacht und nach ein paar Runden Weißwein wird schließlich auch das ein oder andere Tränchen verdrückt. Auf dem Camino darf man das. Besonders wenn man damit anfängt, reihum die persönlich Beweggründe zu erzählen, wegen denen man überhaupt auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Da kommt von Suchtproblemen über Todesfälle bis hin zu Trennungen so ziemlich alles auf den Tisch, was das menschliche Schicksal hergibt. Sehr ergreifend. Und definitiv Grund für noch mehr Wein.
Gegen 23 Uhr hat die Hospitalera dann irgendwann genug von uns und unserem Gelage und kündigt an, nach Hause zu gehen. Weil Sandra Geburtstag hat, drückt sie aber ein Auge zu und scheucht uns noch nicht in die Betten. Statt dessen verkauft sie uns noch etwas Wein und bittet uns darum, nicht mehr allzu laut zu sein. Wir versprechen es ihr und brechen das Versprechen kurz darauf wieder. Erst spät in die Nacht schleichen wir mittelschwer schwankend in unsere Zimmer. Dass es morgen deutlich später losgeht als sonst, ist uns allen klar. Aber der Abend war schön und das ist die Hauptsache.
Lust auf noch mehr Berichte über meine Pilgerreise? Hier findet ihr alle bisher erschienenen Berichte und Tagebucheinträge übersichtlich zusammengefasst: Pilgern auf dem Jakobsweg
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