Ich bin müde, Boss – Ideale verfolgen in Zeiten von Whataboutism

Ich bin müde, Boss. Müde, immer unterwegs zu sein, einsam und verlassen. Müde, niemals einen Freund zu haben, der mir sagt, wohin wir gehen, woher wir kommen und warum. Am meisten müde bin ich, Menschen zu sehen, die hässlich zueinander sind. Der Schmerz auf der Welt und das viele Leid, das macht mich sehr müde. Es gibt zuviel davon. Es ist, als wären in meinem Kopf lauter Glasscherben | John Coffey / The Green Mile


Dass ich meinen heutigen Blogpost mit einem Zitat des fiktiven Charakters John Coffey aus „The Green Mile“ starte, hat einen ganz bestimmten Grund. Auch ich bin zur Zeit sehr müde. Und ich es kann es kaum mehr ertragen, wie die Menschen miteinander umgehen. Jeder wettert gegen jeden. Nichts ist mehr gut genug. Whataboutism als Massenphänomen. Und wir alle sind mittendrin.

In meinem Leben hat es eine Zeit gegeben, in der mir alles egal war. Egal, was ich gekauft habe. Was ich konsumiert, gegessen und in meiner Freizeit gemacht habe. Und auch egal, was das für Auswirkungen auf mich selbst, auf die Gesellschaft und auf die Umwelt hatte. Ich möchte nicht mehr zu dieser Zeit zurück, denn mittlerweile ist mir vieles nicht mehr egal. Aber es gab eine Sache, die damals richtig gut war: Es war eine entspannte Zeit. Entspannt deshalb, weil fast allen anderen auch alles egal war.

Perfektion als Nonplusultra

Mittlerweile ist das anders. Ich habe mich geändert. Die Gesellschaft ebenfalls. Und während ich mich selbst zum Positiven gewandelt habe, hat sich die Gesellschaft eine hässliche Fratze zugelegt. Perfektion das Nonplusultra. Und die kleinste Abweichung davon: Schon maximal scheisse!

Meine Filterbubble in den sozialen Medien ist geprägt von Menschen, die ein bisschen anders leben als Karl-Egon von nebenan. Da sind vegan lebende Weltverbesserer. Yoga-Mamis, die Achtsamkeit lehren. Selbstversorgende Konsumverweigerer. Gesellschaftskritiker im Tiny House. Hausfrauen gegen Plastikwahn. Aussteiger im Reisemobil. Und so verschieden all diese Menschen sind, eines haben sie alle gemeinsam: Sie leben ihre Ideale und setzen sich für das ein, was ihnen wichtig ist. Tragen täglich ihre Kämpfe aus. Im Großen und im Kleinen. Und allzu oft auch gegen Karl-Egon von nebenan. Denn dem ist auf einmal vieles nicht mehr egal. Und er hält sich nicht damit zurück, ganz offen mit dem Finger auf andere zu zeigen:

Du ernährst dich vegan? Schön, aber warum fliegst du denn noch in den Urlaub? Wie kannst du das verantworten? Schau mal, deine vegane Wurst ist in Plastik verpackt. Du Heuchler! Und was ist mit deinem Hund? Fütterst du dem etwa weiter Fleisch? Kürzlich hab ich dich übrigens gesehen. Du hast ein Eis gegessen. Das war sicher nicht vegan. Schämst du dich nicht? So eine krasse Doppelmoral. Dein Auto könntest du übrigens auch endlich Mal verkaufen. Bist doch sonst so für Umweltschutz. Das wäre nur konsequent…

Don´t give a fuck!?

Unsere Gesellschaft ist in so ein krasses Gegeneinander abgedriftet, dass ich nur noch heulen möchte. „Ganz oder gar nicht“ schreien mir die Karl-Egons von nebenan ins Gesicht und fuchteln mit erhobenem Zeigefinger. Und ein klitzekleines bisschen kann ich sie ja sogar verstehen. In Sachen Konsequenz sind sie Experten. Mehr als ich. Zumindest wenn Konsequenz bedeutet, sich mit Schnittchen und Bier auf dem Sofa die Sportschau reinzuziehen und einen Fick darauf zu geben, was um uns herum passiert.

Aber ganz ehrlich? Dann doch lieber ein inskonsequenter Weltverbesserer sein, der sich seiner schwachen Momente und seiner Fehler bewusst ist. Der diese zulassen kann. Und der daraus lernen und wachsen kann. Auf Instagram hat das ultragreenberlin ziemlich gut auf den Punkt gebracht. Und dieses Zitat möchte ich dir heute mit auf den Weg geben. Auf dass du stolz bist. Auf dich. Deine Ideale. Deine Fehler. Dein Wachstum. Und auch auf dein Unperfektsein:

An alle Veganer, die oft fliegen; Zero-Waster, die sich nicht vegan ernähren; Fleischesser, die Lebensmittel retten; Fast Fashion Shopper, die sich selbst versorgen – Macht weiter! In eurem Tempo. Jeder Schritt zählt!

ultragreenberlin
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4 Comments

  1. Anne says:

    Hallo Monica,

    danke für diesen Beitrag!

    Wobei ich es mehr beobachte, dass es gar nicht der ignorante Karl-Egon ist, der als Außenstehender lästert und kritisiert – sondern die „Weltverbesserer“ untereinander. Da geht es dann oft vielleicht doch auch mehr um das eigene Profilieren als um das Einstehen für Ideale.
    Bei den Simpsons gibt es da so eine schöne Szene, in der Lisa einen idealistischen Jungen trifft, der sie für ihren Vegetarismus nur belächelt und auftrumpft: „„Ich bin Veganer Stufe 5, ich esse nichts, was einen Schatten wirft.“

    In kann mich deinem Aufruf nur anschließen – jeder Schritt zählt. Und wenn viele Menschen viele kleine Schritte tun, ändert das mehr, als wenn einige wenige Perfektion erreichen.

    Liebe Grüße
    Anne

    4 Comments
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    1. Monica Albrecht says:

      Hi liebe Anne,
      da hast du nicht unrecht. Die Nachhaltigkeitsszene kann untereinander ganz schön eklig sein. Wobei ich da in letzter Zeit auch einen Wandel beobache. Es tun sich immer mehr Leute hervor, die ein bisschen ungezwungener an die Sache heran gehen und auch andere Meinungen und Ansichten gelten lassen. Immerhin haben wir am Ende ja doch alle dasselbe Ziel. Es bringt rein gar nichts, wenn der Veganer den Zero-Wastler angreift, weil er weiterhin Fleisch ist. Oder der Zero-Wastler den Veganer, weil der noch immer Plastikmüll verursacht. Beides ist gut und richtig und wichtig. Und hat die selbe Intention. Lediglich die Ausführung im persönlichen Alltag ist eine andere. Und ich glaub das ist auch das Kernproblem an der Sache. So viele Menschen haben dasselbe Ziel. Aber anstatt das zu feiern, die Energien zu bündeln und zusammen zu arbeiten, fokussieren sie sich darauf, mögliche „Fehler“ des anderen aufzudecken und anzuprangern.

      Erst vorhin hatte ich auf Instagram eine Diskussion zum Thema Veganismus. Eine Userin hat die schlimmsten „Ausreden“ von Fleischessern gesammelt, warum sie sich nicht vegan ernähren können. Unter anderem war da folgende dabei: „Ich will mich nicht vegan ernähren, aber immerhin esse ich ja wenigstens nur noch 1 x pro Woche Fleisch“. Du machst dir keine Vorstellung, wie viele der anwesenden Veganer dabei direkt rot gesehen haben. Aber das ist mir persönlich zu einseitig gedacht. Niemand weiss, was in dem Kopf von einem anderen Menschen vorgeht. Wer heute nur noch 1 x pro Woche Fleisch isst, macht das in Zukunft vielleicht nur noch alle zwei Wochen oder einma im Monat. Vielleicht stellt derjenige seine Ernährung in einem halben Jahr auf vegetarisch um. Und in drei Jahren vielleicht auf vegan. Wer weiss das schon? Leute für solche Aussagen anzugreifen, ist meiner Meinung nach absolut Kontraproduktiv. Wie wertschätzend wäre es denn, wenn man zu so jemand sagen würden „hey, ich find das total super, dass du das machst“. Anstatt gleich drauf zu prügeln, weil einem selbst das nicht weit genug geht.

      Du merkst, ich könnte über das Thema stundenlang diskutieren und mich in Rage reden^^ Aber belassen wir es dabei. Jeder Schritt zählt. Und jeder Schritt ist gut!

      Liebe Grüße
      Moni

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  2. Véro says:

    Ein ganz toller Beitrag. Du hast es wirklich auf den Punkt gebracht und es tut einfach gut. Vielen Dank dafür und weiter so :-)

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