Die Geschichte von der verschwundenen Muse und der kleinen leisen Stimme im Kopf

crop unrecognizable girl with hands in paints sitting on floor

Albert Einstein hat mal gesagt „Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat“. Ich finde das eine sehr schöne Vorstellung. Und weil Spaß uns allen gut tut – ganz besonders jetzt -, habe ich mir vorgenommen meiner Intelligenz auch endlich wieder ein bisschen mehr davon zu gönnen. In den letzten Wochen ist es in meinem Leben nämlich sehr ruhig geworden. Ich habe mich bei Instagram sehr zurückgezogen, meinen Youtube-Kanal stillgelegt, den Podcast eingestellt und TikTok vom Smartphone verbannt. Jede Menge frei gewordene Zeit also, die ich mit sinnvolleren Tätigkeiten füllen kann. Lesen, meditieren, spazieren gehen, Yoga… Oder eben auch mit malen.

Als Kind und auch noch während meiner gesamten Jugend habe ich gerne und viel gemalt. Mit Bunstiften, Aquarellkreide, Wasserfarben oder auch ganz simpel mit Malen nach Zahlen. Heute, mit annähernd 40, ist mir das Malen irgendwie abhanden gekommen. Und offensichtlich ist es bei meiner Intelligenz noch nicht angekommen, dass sie auch in fortgeschrittenem Alter noch Spaß haben kann. Und darf.

Um das zu ändern habe ich mir vor ein paar Tagen Aquarellstifte gekauft. Und mit denen sitze ich seit Tagen in meinem Büro am Schreibtisch vor einem leeren Blatt Papier und warte darauf, dass mich die Muse küsst. Ich weiss nicht, wo sich die Alte gerade rumtreibt, aber offensichtlich ist sie irgendwo anders ziemlich beschäftigt. Oder sie hält mich nicht für würdig, mich mit ihrer Anwesenheit zu beehren. Mein Blatt bleibt auf jeden Fall leer. Genauso leer wie die Seiten meines Buches über den Jakobsweg, von dem ich seit vier Jahren immer wieder erzähle und das am Ende irgendwie doch nie fertig wird.

Wann ist mir meine Inspiration eigentlich so sehr verloren gegangen? Früher sind die Ideen regelrecht aus mir herausgesprudelt. Geschichten, Bilder, Formen, Farben. Heute ist alles nur noch ein Einheitsbrei. Grau in Grau.

Ich will das nicht mehr und klicke mich auf der Suche nach Inspiration durchs Internet. Lese Blogs über Aquarelltechniken, schaue Youtube-Videos über Skizziertechniken, informiere mich über Aquarellfarben, Blöcke, Pinsel, bestelle mir neue Farben im Internet, kaufe mir einen hochwertigen Aquarellblock und lege ein Pinterestboard nach dem anderen mit Bildern an, die ich schön finde. Nach vielen Stunden bin ich bestens informiert und noch besser ausgestattet. Aber angefangen habe ich immer noch nicht. Kein einziger Pinselstrich ziert den neuen Block.

Während ich auf das leere, weiße Papier starre, beginnen die Gedanken wieder mal zu kreisen. Sagen mir, dass ich es sowieso wieder nicht auf die Reihe bekomme und es am besten einfach gleich bleiben lassen soll. Dass ich aufhören soll, Papier zu verschwenden und dass die Dinge, die ich male sowieso nie gut genug sein werden. Und beinahe höre ich darauf. Aber irgendwo, ganz tief hinten, in der hintersten Ecke, meldet sich eine zweite Stimme. Ganz leise, schüchtern und zart. Ich kenne diese Stimme. Sie ist viele Jahre alt und ich habe sie schon Ewigkeiten nicht mehr gehört. Vermutlich das letzte Mal irgendwann in meiner Kindheit. Ich höre angestrengter hin und versuche zu verstehen, was sie sagt. Erst gelingt es mir nicht richtig, aber dann wird sie langsam klarer.

Mach doch einfach mal“ sagt sie und kichert dabei leise vor sich hin „Schmier einfach ein bisschen rum.

Einfach rumschmieren? Das Papier war nicht billig. Die Farben auch nicht. Und überhaupt, ich bin doch kein kleines Kind mehr. Und die unzähligen Technikvideos habe ich mir auch nicht angeschaut, nur um planlos rumzukritzeln. Ich will Erwachsenenbilder. Solche, die ich auch aufhängen kann. Die was her machen. Die man rumzeigen kann.

Bock nicht so rum, mal einfach“ mault die Stimme ungeduldig.

Na gut, ein Versuch ist es Wert. Ich nehme den Pinsel in die Hand, tauche die Spitze in die Farbe, mische das Ganze mit Wasser und male vorsichtig einen ersten Klecks auf das Papier. Er verläuft nach allen Seiten und sieht irgendwie ziemlich schön aus. Ich wasche den Pinsel aus, mische eine zweite Farbe, kleckse sie in die Erste und die Farben vereinen sich. Scheinen beinah miteinander zu tanzen. Gar nicht mal so schlecht! Ich probiere weiter rum, drücke den Pinsel mal fest, mal sanft aufs Papier. Streiche mal nach links, mal nach rechts, zeichne Kreise, Linien, Punkte, Wellen. Das ganze Bild macht überhaupt keinen Sinn und doch ist es in seiner gesamten Sinnlosigkeit irgendwie wunderschön.

Kurz bevor der letzte weiße Fleck vom Papier verschwunden ist, kommt mein Mann ins Zimmer und fragt, wo ich bleibe. Wir wollten doch die erste Folge der neuen Dexter-Serie schauen. Ich blicke auf die Uhr und stelle fest, dass ich seit 40 Minuten hier sitze und vor mich hin kritzele. Es kommt mir vor, als wären es maximal fünf gewesen. Moment mal… Habe ich gerade eben meinen Flow wieder gefunden? Hier bei dieser kindlichen Rumkleckserei ohne jeden Plan?

Ich betrachte mein Bild. Sofern man es „Bild“ nennen kann. Mittlerweile sieht es einfach nur noch grauenhaft aus. Die Farben passen absolut nicht zueinander. An einigen Stellen war das Papier zu nass, an anderen zu trocken. Die Blüten, die ich in einem Anfall von Übermut mit einem schwarzen Brushlettering-Stift eingezeichnet hab, sind kaum als solche zu erkennen. Die Aquarellfarbe war noch viel zu naß und die feinen Striche des Stiftes sind mittlerweile komplett verlaufen. Dieses „Kunstwerk“ taugt allemal nur fürs Altpapier, so viel ist klar.

Aber du hattest voll viel Spaß, oder nicht?“ flüstert die leise Stimme in meinem Kopf und fast hört es sich so an, als wäre sie ein klein wenig lauter als vorhin.

Ja ich gebs zu: Ich hatte Spaß. Ziemlich viel sogar. Und die Stimme in meinem Kopf offensichtlich auch. Als ich mich im Wohnzimmer zu meinem Mann aufs Sofa lege, kichert sie immer noch. Amüsiert sich köstlich über die krakeligen Blumen mit den verlaufenen Stielen, die eigentlich lila werden sollten und jetzt braun sind, weil sich die verschiedenen Farben zu sehr vermischt haben.

Machen wir das morgen wieder?“ frag sie mich mit kindlicher Aufregung „Ist mir auch völlig egal, wenns wieder Scheisse wird„.

Ja meine Kleine.. wenn du willst, dann machen wir das morgen wieder! Und vielleicht schreib ich danach ja sogar noch ein paar Seiten am Buch weiter…

Beitrag gefallen? Teile ihn hier mit deinen Lieben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert