Es ist Freitag früh. 07:00 Uhr. Wie jeden Morgen öffne ich im Zug auf dem Weg zur Arbeit meine Facebook-App. Man muss sich ja informieren was in der digitalen Welt so los ist und sich auf den neuesten Stand bringen. Ganz besonders als Blogger. Nicht auszudenken, man würde den aktuellen Shitstorm gegen Nestlé verpassen und sich dazu nicht auf Twitter äußern. Da wäre man ja direkt weg vom Fenster. Digitaler Selbstmord quasi.
Während ich so durch meine Timeline scrolle, sehe ich, dass das Nachrichten-Symbol blinkt. Ich schaue nach, wer mir da in aller Herrgottsfrüh schon etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Es ist Anja. Mit der bin ich erst seit ein paar Tagen auf Facebook befreundet. Sie hatte mir aus dem Nichts heraus eine Freundschaftsanfrage gestellt – obwohl wir uns eigentlich gar nicht kennen. Normalerweise ignoriere ich sowas ja, aber Anja hat nicht wie ein perverser Stalker gewirkt, Facebook meldete vier gemeinsame Freunde und außerdem soll man sich als Blogger ja auch vernetzen. Also hatte ich die Freundschaftsanfrage angenommen. Und jetzt schreibt sie mir also. Wie nett. Oder auch nicht.
Anja bietet mir an, an einer Healthy-Body-Challenge teilzunehmen. Es wären noch ein paar Plätze frei, die sie gerne an motivierte Frauen, Mädels und Mamas vergeben möchte, die ihr Leben zum Besseren verändern wollen. Persönliche körperliche Ziele erreichen. Abnehmen. Definieren. Oder auch nur gesünder ernähren und fitter werden. Anja fragt mich, ob ich auch mit dabei sein möchte. Um 21 Uhr wäre die nächste Live-Yoga-Session für Mamis. Und mir kommt das Kotzen.
Angebote wie die von Anja bekomme ich zur Zeit beinah täglich. Von Bloggern, von Influencern, von Entrepeneurs und von digitalen Nomaden. Alle sagen mir, dass sie mein Leben mit ihren Workshops und Webinaren besser machen wollen. Und ich frage mich, was zum Teufel mit meinem Leben eigentlich nicht stimmt.
Geht es nach den Angeboten, die regelmäßig bei mir eintrudeln, bin ich zu dick, zu unsportlich, ernähre mich falsch, bin nicht produktiv genug, meine Blogs sind scheisse und ich habe zu wenig Follower auf allen Social Media Kanälen. Außerdem lebe ich viel zu Oldschool, weil ich noch immer einem Vollzeitjob nachgehe und nicht längst schon durch die Weltgeschichte reise, nur um mich in atemberaubenden Yoga-Posen bei Sonnenuntergang am Strand zu fotografieren.
Während ich Anjas Angebot noch überfliege, frage ich mich, ob eine Live-Yoga-Session für Muttis abends um 21 Uhr mein Leben tatsächlich so viel geiler machen würde. Mal davon abgesehen, dass ich noch gar keine Mama bin, putze ich abends um 21 Uhr schon langsam die Zähne und gehe Richtung Bett. Weil ich nämlich seit halb sechs wach bin, acht Stunden gearbeitet hab, drei Stunden mit dem Zug unterwegs war, eingekauft und gekocht habe, zwei Ladungen Wäsche gewaschen, ein Rezept für einen neuen Blogpost geshootet und die Küche aufgeräumt habe. Was soll ich also um 21 Uhr mit Mama-Yoga? Schlafen entspannt mich auch. Sehr sogar. Und macht am Ende nicht einmal fiesen Muskelkater.
Ich überlege mir, was ich Anja antworten soll und entscheide mich dafür, freundlich dankend abzulehnen. Und direkt danach drücke ich den „Freundschaft beenden“ Button. Anja hält mich jetzt vielleicht für eine undankbare Versagerin, die im Leben nichts erreichen möchte. Mir persönlich gefalle ich aber eigentlich ganz gut. Und zwar exakt so, wie ich bin.
„Du selbst zu sein, in einer Welt, die konstant versucht dich zu etwas anderem zu machen, ist die größte Leistung“ – Ralph Waldo Emerson
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